Vielfach wurde dem Autoren dieses Textes vermittelt, dass er für den nachkriegsarchitektonischen Hochgenuss, besonders jenen im alten Zentrum der DDR, zu spät dran sei: zu spät, um noch den Palast der Republik oder das legendäre Ahornblatt von Ulrich Müther gesehen zu haben, zu spät für das einmalige Ensemble um den Fernsehturm mit Alextreff und Markthalle. Viele dieser Gebäude sind „einfach so“, mitunter sogar ohne eine heute nachvollziehbare Debatte, verschwunden. Vor allem den weniger prominenten Bauten weint bis heute außerhalb der Fachwelt niemand öffentlich nach. Und für den Abriss des eingetragenen Baudenkmales Ahornblatt will bis heute niemand verantwortlich sein.
Doch bevor die nächste und gleichzeitig bedeutendste verbliebene Ikone der DDR-Architektur verschwindet, wollen wir warnen: der Berliner Fernsehturm, er ist nicht mehr lange da! Schon in einigen Monaten wird er von der Karl-Marx-Allee (bis 1961: Stalinallee) aus nicht mehr zu sehen sein. Das wohl berühmteste Ensemble des Ostens wird in Zukunft seinen optischen Abschluss nicht mehr im Fernsehturm finden. Denn die beiden Höhepunkte im Werk von Hermann Henselmann werden auf brutalste Weise getrennt. Eine arg verspätete Ausgeburt der neoliberalen und kulturverachtenden Planung der 90er Jahre, genannt „Alexander Capital Tower“, wird das Ensemble zerteilen. Der als „Kleiner Bruder des Fernsehturms“ vermarktete Luxuswohnturm an der Ecke Grunerstraße/Alexanderstraße wird 150 Meter messen und sogar die weiteren, direkt am Alexanderplatz geplanten Türme überragen. Damit wird er aus vielen Perspektiven den Fernsehturm, immerhin das zweitbekannteste Bauwerk der Stadt, vollkommen verdecken. Selbst die Restaurantkugel in 200 Metern Höhe wird im näheren Umfeld des Turmes vollkommen unsichtbar werden, aus größerer Entfernung wird sie zum spaßigen Aufsatz des neuen Wohnturms degradiert. Am größten jedoch wird der städtebauliche Schaden aus Richtung der Karl-Marx-Allee sein. Oft sieht man Menschen, die genau von hier aus den Turm fotografieren. Und Fotos aus dieser Perspektive anzufertigen, legt abrissberlin den Leser:innen auch nahe, denn der neue Turm beginnt bereits in die Höhe zu wachsen. Selbiges gilt natürlich auch für den Blick vom Turm in die Allee.
Zu allem Überfluss ist auch der Fixpunkt des zweiten Bauabschnittes der Karl-Marx-Allee bald nicht mehr sichtbar: das Hotel Stadt Berlin, heute ParkInn, wird durch einen unmittelbar nebenan entstehenden und exakt gleich hohen Neubau verdeckt. Um dafür Platz zu machen, wurden bereits Teile des trotz totaler Überformung noch filigran wirkenden Hotelsockels zerstört. Der neue Turm erhält eine grobschlächtige und dominante, als „Wiedergewinnung des Blockrands“ verkaufte Sockelstruktur, die dem Platz die zumindest in Ansätzen noch vorhandene Weite nehmen wird. In diesem, aber insbesondere im Projekt „Capital Tower“ zeigt sich auf erschreckende Art und Weise erneut die Siegerarchitektur der 1990er Jahre, als sogenannte Altstadtfreunde im Abriss- und Blockrandrausch am liebsten jegliche gebaute Erinnerung an den Sozialismus ausgelöscht hätten. Die wirtschaftliche Lage im Berlin der letzten Jahrzehnte verhinderte dies glücklicherweise. Da sich das jetzt aber ändert, ist größtmögliche Aufmerksamkeit und ein erneuter Kampf für unser bauliches Erbe dringend erforderlich. Sonst ist nicht nur der Fernsehturm bald von fern und nah – unsehbar!