Abriss-Irrsinn im MV

Abriss-Irrsinn im MV

Das Märkische Viertel wurde zwar im zurückliegenden Jahrzehnt intensiv umgestaltet, doch diese Umgestaltung bezog sich vornehmlich auf die Fassaden der Gebäude und deren Erscheinungsbild. Was in vielen Fällen bedeutete, dass vormals farbige und durchdacht gegliederte Gebäude nun mit Dämmmaterial überzogen im vermeintlichen Bauhausweiß strahlen und in einem anderen Fall ein Gebäude mit dem abscheulichen Logo-Grün der größten Berliner Wohnungsbaugesellschaft „aufgefrischt“ wurde. Immerhin die Freiräume blieben nahezu unangetastet. Sie entwickelten sich nur mit dem Wachstum des Grüns, insbesondere der unzähligen Platanen, fort.

Doch während die Wohngebiete bislang von substantieller Zerstörung verschont blieben, ist das Geschäftszentrum „Märkisches Zentrum“ schon mehrfach gravierenden Umbauten unterzogen worden. Zuletzt traf es das von Hans Bandel und Waldemar Poreike entworfene und 1963 bis 1967 errichtete elfstöckige Scheibenhochhaus, das zahlreiche Geschäfte, Arztpraxen und auch Wohnungen enthielt und zum städtebaulichen Höhepunkt der Zentrenkonzeption avancierte. Das Hochhaus wurde zum „Zentrum des Zentrums“, gelegen zwischen Brunnenplatz und Marktplatz, umgeben von vielen flach ausgeführten Gebäudeteilen, die angenehm zu begehende Einkaufsgassen und Plätze bildeten. Alles nicht mehr zeitgemäß, entschied man. Die Passagen wurden überdacht und teilweise schließlich ganz abgerissen. Nach 2000 entstand eine Shoppingmall, die in ihrer gestalterischen Beliebigkeit an jedem Ort Berlins gleichermaßen unpassend aussehen würde.

Nun stellte ein neuer Eigentümer wiederum fest, dass auch die 2000er-Mall nicht mehr zeitgemäß sei und das erwähnte Hochhaus von Bandel und Poreike schon gleich gar nicht. Monatelang wurde es nun Stück für Stück abgerissen – um es demnächst durch einen sehr ähnlich dimensionierten Baukörper zu ersetzen, der wieder Geschäfte und Dienstleister, vor allem aber auch „moderne, lichtdurchflutete Wohnungen“ aufnehmen soll. Der Neubau setzt sehr stark auf vertikale Gliederung und wird das Umfeld dominieren. Lehnte Georg Heinrichs, einer der Väter des Märkischen Viertels, alles Vertikale, übertrieben in die Höhe strebende ab, ist es nun genau dies, was kommt. Die durch tiefe Loggien gegliederte Scheibe von Bandel/Poreike wird ersetzt durch einen optisch viel stärker in die höhe strebenden neuen Baukörper, der vorgaukelt, aus zwei Türmen zu bestehen.

Ökologischer Irrsinn ist Abriss immer, in diesem Fall ist er auch noch gestalterisch besonders fatal. Und zwar nicht nur wegen des Verlustes einer grandiosen Bauskulptur der 1960er: In den Visualisierungen sieht es aus, als wollte man sich mit dem Neubau ein höhenwirksames Stück des Planwerks Innenstadt ins „MV“ holen.

(Alle Fotos: Fabian Schmerbeck)

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