Kleiner Abriss, großer Verlust

Kleiner Abriss, großer Verlust

Alt-Lankwitz 74. Das Werbeplakat eines Immobilienunternehmens – „Wohn(t)räume für Individualisten“ – kündet vom kommenden Neubau und dem nahenden Abriss dessen, was es verdeckt: Gerahmt von unspektakulären Wohnanlagen der 1960er und 1990er sticht das einzige und dann auch noch wirklich kleine Einfamilienhaus auf dieser Seite der Straße heraus. Auf einem tiefen Gartengrundstück stehend, eingeschossig, mit weiß verschlämmtem Backsteinmauerwerk und rückwärtig tief gezogenem Satteldach. Nicht zuletzt durch diese beiden Elemente erinnert es an die Reformarchitektur der Zehlendorfer Fischtalsiedlung. Und diese Assoziation ist keineswegs zufällig, denn der Erbauer dieses Bestands-Wohntraums für Individualist*innen, der Steglitzer Stadtbaurat Fritz Freymueller (1882 bis 1950, seltener: Freymüller), war als ehemaliger Student von Theodor Fischer und Paul Bonatz ein Abkömmling der Stuttgarter Schule.

Freymuellers 1935 errichtetes „Eigenwohnhaus“ prägt ein durchaus konservativer Duktus, gleichwohl emanzipierte der Architekt sich hier – wie auch bei seinem nicht überlieferten, aber umfangreich publizierten „Rentnerwohnheim“ an der Steglitzer Rückertstraße und dem denkmalgeschützten Jugendheim an der Paulsenstraße – deutlich vom zuvor praktizierten Späthistorismus. Und wie zeitgleich Heinrich Tessenow bei dessen eigenem Wohnhaus in Dahlem, schrumpft Freymueller den Baukörper auf das absolute Minimum. Das (flächenmäßig) reduzierte und in zeitgenössischen Architektenkreisen intensiv propagierte „billige kleine Haus“, das zwar gestalterisch anspruchsvoll sein musste, aber keinesfalls eine verkleinerte Villa sein durfte, scheint auch hier als Ideal im Mittelpunkt gestanden zu haben. Bei einem 1931 durchgeführten Wettbewerb der Bauwelt zu "billigen zeitgemäßen Eigenhäusern" errang Freymueller mit einem Entwurf für ein "Haus einer berufstätigen Frau" einen zweiten Platz.

Der Gegensatz zu den zahlreichen historistisch-pompösen Bauten Freymuellers könnte also nicht größer sein, die Nähe zu anderen Bauten der Stuttgarter Schule aber auch nicht. Aus der entsprechenden Zeitschicht ist in Lankwitz aufgrund der umfassenden Kriegszerstörungen (85% aller Gebäude) sonst wenig überliefert. Und dass insbesondere das eigene Wohnhaus im Werk von Architekten eine gewisse Bedeutung einnimmt, dürfte sich von selbst erklären. Dass es dennoch auf der Denkmalliste fehlt, während andere und gewiss nicht spektakulärere Einfamilienhäuser Freymuellers eingetragene Baudenkmale sind, ist erstaunlich.

Der von wahrscheinlich bauzeitlich gepflanzten Gehölzen geprägte Garten ist bereits gerodet, die Fensterläden entfernt. Für eine Rettung des Gebäudes bleibt nur noch wenig Zeit.

Einige Quellen zu Fritz Freymueller: Der Baumeister (1932), S. 268-270. Monatshefte für Baukunst und Städtebau (1933), S. 145-152. Bauwelt (9/1931), S. 22. Bauwelt (13/1933), S. 3-8. Bauwelt (5/1931), Bauwelt (19/1931): S. 13-24. S. 1-8. Baugilde (1929), S. 1742-1743. Deutsche Bauzeitung (1932), S. 625-628.

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