Es gibt immer den Punkt, an dem man denkt, es lohne sich nicht mehr, über Verlust zu sprechen. Wenn Gebäude oder gar ganze Straßenzüge bereits so stark entstellt sind, dass sie ihre Einmaligkeit oder auch schlicht den Wiedererkennungswert eingebüßt haben beispielsweise. So ein Punkt schien Unter den Linden schon öfter erreicht zu sein, denn die Ostmoderne begann an diesem prominenten Ort noch 1990 enorm zu bröckeln. Und doch blieben schützenswerte Kleinode wie der Funktionsbau der Komischen Oper (1963-1966 von Heinz Dübel und Emil Schmidt) oder das sogenannte Aeroflot-Gebäude an der Ecke Glinkastraße bis heute der zumeist kapitalgetriebenen Zerstörungswut verschont.
Ein zentraler Bau der 1960er wurde nun aber – von Staats wegen – abgerissen: die Zentrale des Außenhandelskombinats Exportgesellschaft für Wirkwaren und Raumtextilien, kurz Wiratex. Das eingetragene Denkmal bildete mit Polnischer Botschaft (abgerissen 2016) und derer Ungarns (abgerissen 1999) sowie dem Ministerium für Außenhandel (ab 1992 bis zur Unkenntlichkeit saniert) eines der zentralen 60er-Jahre-Ensembles in der DDR. Der künstlerisch anspruchsvolle Wiratex-Bau fügte sich durch die angepasste Traufhöhe und das Heranrücken an den Blockrand respektvoll in den historischen Boulevard der Linden ein, ohne dabei die eigene Entstehungszeit zu leugnen.
Zusammen mit Wiratex weichen mussten mehrere im selben Block befindliche Plattenbauten an Schadow- und Dorotheenstraße – um Platz zu machen für die Verwaltung des Deutschen Bundestages und das Willy-Brandt-Forum. Beides befand sich zwar schon zuvor in den jetzt geschliffenen Gebäuden, doch bevorzugte man wohl auch hier, wie so oft, sozialistische Baukunst durch gerasterte Kunststeinmalls zu ersetzen, die mit ihrer optischen Beliebigkeit jederzeit auch als Mittelklassehotels an ebenso mittelmäßigen Hauptbahnhöfen dieser Republik dienen könnten.
1962-1964 durch das Kollektiv Peter Senf errichtet, war Wiratex eines der letzten Berliner Gebäude, die derart anschaulich einen zentralen Umbruch im DDR-Städtebau illustrierten, der sich in den folgenden Jahren an vielen prominenten Orten der DDR manifestierte: weg von der Rekonstruktion (wie im Ostteil der Linden um die Universität, „Forum Fridericianum“), hin zu einer selbstbewussten Moderne, die trotz der Verwendung vorgefertigter Bauteile den hohen Stellenwert von Baukunst und Handwerk keinesfalls leugnete.
Im Wiratex-Gebäude, aufgrund von Lage und Funktion durchaus als Repräsentationsbau erster Güte anzusehen, äußerte sich das beispielsweise durch kleinteilige blaugrüne Mosaike an den Fensterbrüstungen oder die mit Betonwaben elegant ausformulierte Giebelseite – beides ist nun für immer zerstört. Nicht einmal das respektvolle, geduckte Herantreten an das benachbarte Schadowhaus wird in die Zukunft übernommen. Vielmehr wird dieses von der gerasterten Penetranz des in den Entwürfen mehr als finster wirkenden Neubaus geradezu erdrückt werden.